Im Frühling
Frühlings-Wunder
‘Gott vollendete seine Schöpfung am siebten Tag,
und Er heiligte und segnete diesen Tag.
Und lebt jemand mit Christus, so ist er eine neue Schöpfung, ein neuer Mensch.
Ja, ein neues Leben hat begonnen.’
(s. 1. Mose 2,2-3; 2. Korinther 5,17)
Vorfrühling. Ein Ahnen geht durch die Schöpfung. Es ist nicht mehr ein Schweigen, es regt sich etwas, das noch nicht sichtbar ist. Der milde Regen lässt unmerklich die Samen keimen. In diesem Regen gehe ich gern spazieren. Ich mag den Klang, wenn es auf meinen Schirm tröpfelt, und wenn die Luft so frisch und würzig duftet. Manchmal wandere ich auch zwischen den Bäumen mitten durch die Haine und Wälder. Die ersten Blüten zeigen sich, springen wie kleine lustige Kinder aus ihren Verstecken in der Erde. Zuerst nur vereinzelt, gelbe Huflattichblüten, Gänseblümchen, Veilchen, immer mehr, bis ein Meer von Buschwindröschen im sanften Frühlingswind zwischen den Bäumen tanzt. Die Weiden sprengen ihre braunen Knospenschalen, ihre samtweichen Silberkätzchen schieben sich in die Frühlingssonne. Dann beginnen die Bäume aufzuwachen. Es ist zunächst nur ein Hauch von Grün. Von weitem leuchten die Äste in einem grünen Schimmer. Schließlich entfalten sich die zarten Blättchen zu ihren verschiedenen Formen, fast wie über Nacht. Es ist ein Wunder – ein Wunder Gottes. Jeden Frühling staune ich neu über sein Wunder. Wer sagt den Bäumen, dass es Zeit ist, die Blätter zu treiben? Wer sagt den Blüten, dass sie die Knospen sprengen sollen? Es ist ein geheimnisvolles Regen und Leben, das keiner wirklich erklären kann. Nur Gott kann es. Und die Vögel beginnen ihr fröhliches Lob auf Ihn zu singen, Meisen, Finken, Amseln, Rotkehlchen – und die Stare sind zurück. Irgendwann höre ich den ersten Kuckuck rufen. Dann ist der Frühling wirklich angekommen. Dann stehen die Wiesen in ihrem gelben Gewand von Löwenzahn, und in meinem Garten leuchten rote Tulpen und blaue Traubenhyazinthen. Dann liegt der Duft von Veilchen und Flieder in der Luft. Und ich könnte vor Freude die Welt umarmen.
Es ist für mich jedes Mal wie eine neue Schöpfung. Bei der ersten Schöpfung war noch kein Mensch dabei. Doch jedes Jahr dürfen wir Gottes Schöpferkraft von neuem miterleben. Ist uns das noch bewusst? Sehen wir noch Gottes Macht in diesem Wunder? Staunen wir noch über diese Wunderwelt, die uns ein wenig erahnen lässt, wie es sein wird, wenn Gott vor unseren Augen die Erde wirklich neu erschafft, ohne Makel, frisch und unbeschreiblich schön? Und erzählt uns dieses Wunder noch davon, dass Gott mit seiner Schöpferkraft auch in uns wirkt? ‘Durch Ihn leben und existieren wir.’¹ Jeder Atemzug und jeder Herzschlag ist ein Impuls seiner Kraft. Er hat uns ins Leben gerufen, Er hat das Wunder im Leib unserer Mutter geschaffen, und Er erhält uns täglich neu am Leben. Wenn wir uns Ihm übergeben und Ihm nachfolgen, so wirkt Er auch in uns und verwandelt uns zu neuem Leben. Wir werden eine neue Schöpfung, die Vergangenheit dürfen wir hinter uns lassen und mit Ihm täglich neu beginnen. Es liegt eine Zuversicht im Frühlingserwachen, denn Er hat über den Winterschlaf und den Tod gesiegt. Und das wird Er auch tun, wenn Jesus zurückkehrt und all seine Getreuen auferweckt, die in der Erde schlafen. Es wird eine unaussprechliche Freude sein ... Er hat noch immer jene Schöpfermacht wie am Anfang, als Er den Himmel und die Erde vollendete. Er erschafft uns dann ein Frühlings-Wunder. Und wir werden für immer bei Ihm sein ...
¹s. Apg 17,28
Ein Adler und ein Gänseküken
‘Herr, mein Gott, Du hast so vielfältige Wundertaten vollbracht.
Niemand ist mit Dir zu vergleichen.’
(s. Psalm 40,6)
Gott ist ein erstaunlicher Schöpfer. Die Vielfalt seiner Tierwelt fasziniert mich ganz besonders. Schon als Kind lief ich allem nach, was Haare oder Federn besitzt, was quakt, quiekt, hüpft, krabbelt oder schwimmt. Mit einem Lächeln denke ich an so manche Begebenheiten zurück ... die meine Mutter nicht immer zum Lächeln fand. Vor allem, wenn ich meinte, ich müsse unbedingt Mäuse vor der Katze retten und sie in einem Schuhkarton im Haus halten. Und erwischte ich zu meiner Freude einen Frosch, so musste ihm meine Puppe aus dem Puppenwagen weichen und ich deckte ihn mütterlich zu, sodass nur sein Kopf herausschaute. Kröten erwiesen sich dafür als besonders geeignet, sie blieben still und geduldig sitzen.
Ich sah mir natürlich auch mit Vorliebe Kinderfilme mit richtigen Tieren an. Eine Serie mit einem Känguru und ein schwarzer Hengst gehörten dazu, sowie ein Delphin und eine schottische Colliehündin. Noch heute steht mir eine besonders drollige Filmszene lebendig vor Augen: Ein Adlerweibchen verlor ihr ganzes Gelege. Ein Junge, der sie beobachtet hat, will ihr helfen. Deshalb holt er eilig von zuhause ein Ei und legt es ihr ins Nest. Es ist ein Gänse-Ei. Der Adler nimmt das Ei tatsächlich an und brütet es aus. Und ab dem Schlüpfen beginnt die Verwirrung. Das Küken verhält sich überhaupt nicht so, wie das Adlerweibchen es gewohnt ist. Es bleibt nicht im Nest und watschelt durch die Wiesen, und der Adler marschiert wohl oder übel mit. An einem Gewässer springt das Gänseküken freudig ins kühle Nass und paddelt quietschfidel darin herum. Der Adler steht am Ufer und neigt verständnislos den Kopf von einer Seite auf die andere, während er ‘seinem Küken’ zuschaut. Die Fragezeichen sind deutlich an seinem Gesicht abzulesen. Wenn jemand sagt, Vögel hätten keine so ausdrucksstarke Mimik wie Säugetiere, der sollte sich das ansehen.
Wir verstehen natürlich, warum das Küken anders war. Und wir wissen auch um die Vielfältigkeit und Verschiedenartigkeit, die Gott geschaffen hat. Aber geht es uns nicht manchmal ähnlich wie dem Adlerweibchen? Wir haben ein bestimmtes Weltbild und machen uns auch bestimmte Bilder von unseren Mitmenschen, unseren Kindern, unseren Partnern. Doch wir stellen natürlich fest, dass andere Menschen anders sind, als wir meinen. Sie reagieren anders als wir, denken anders, fühlen anders, und es ist oft schwer, keine Vorurteile zu haben und nicht zu verurteilen. Niemand hier auf Erden ist jetzt schon perfekt. Aber jeder ist einzigartig. Gott hat die Vielfältigkeit geschaffen und gewollt, und damit auch die Einzigartigkeit. Dadurch, dass andere anders sind als wir, ist wiederum auch jeder von uns einmalig. Wenn wir das verstanden haben, beginnen wir, die anderen in ihrer Einzigartigkeit und Individualität zu achten.
Ja, genauso einzigartig wurdest du erschaffen, du bist mit niemand anderem zu vergleichen. Dein himmlischer Vater hat dich, gerade dich, gewollt. Darum darfst du erkennen, wie wertvoll du in deiner Einzigartigkeit für Gott bist. Er hat dich nur einmal ... und wir alle hier auf der Welt haben dich auch nur einmal.
Mit Kosmetiktüchern Feinde besiegen
‘Die Gott lieb haben, werden wie die Sonne aufgehen in ihrer Pracht.’
(s. Richter 5,31)
Morgenstund’ hat bekanntlich Gold im Mund. Zwar scheint an diesem grauen Frühjahrsmorgen keine goldene Sonne, aber ich darf mich in der Gastlichkeit eines befreundeten Ehepaares sonnen und sitze in Erwartung eines guten Frühstücks in ihrer Küche. Die beiden sind noch im Badezimmer. Ich kann sie durch die offenen Türen hantieren hören. Und da passiert es: Irgendeine Lotion-Flasche gibt nach dem Kontakt mit Irenes Ellenbogen freiwillig den Standposten auf, knallt nach freiem Fall auf den Fliesenboden und gemäß den Naturgesetzen verbreitet sich der flüssige Inhalt in einer Lache. „Oh nein!“, entfährt es Irene.
„Aber das macht doch nichts”, beschwichtigt Tim seine Frau. „Das werden wir gleich haben. Wir kapitulieren doch nicht vor so etwas.“
Wutsch, wutsch, wutsch, wutsch, wutsch ... Dem Geräusch nach zu urteilen bewaffnet Tim sich mit einem abenteuerlichen Umfang an Kosmetiktüchern.
„Dann wollen wir das einmal in Angriff nehmen. Erst den Feind einkreisen und in die Enge treiben.“ Ich kann ihn richtig vor mir sehen, wie er mit seinem enormen Tücherbausch im Kreis um die Lache wischt und sie eindämmt. „Siehst du? So. Und so. Und wenn sich der Feind nicht ergeben will, dann stürzen wir uns kurzerhand auf ihn!“ Mit einem Kampfruf schlägt er offenbar den Tücherbausch energisch auf den kläglichen Überrest Flüssigkeit und wischt diesen triumphierend fort. „Ha! Siehst du? Jetzt hat sich der Feind ergeben und schwenkt kleinlaut die weiße Fahne.“ Er wedelt wahrscheinlich mit den Kosmetiktüchern in der Luft, um Irene zum Lachen zu bringen.
Heimlich lache ich in der Küche mit. Das ist so bezeichnend für Tim. Worüber andere sich aufregen, das nimmt er mit Humor und verbreitet dadurch Frohsinn. Ich kann von ihm nur lernen: Die kleinen Unfälle des Lebens, die man durch schlechte Laune und Schimpfen ohnehin nicht ändern kann, sollte man nicht mit Ärger, sondern mit Humor beseitigen. Man entlastet dadurch das Gemüt, tut dem eigenen Herzen etwas Gutes und bringt vielleicht auch noch andere zum Lachen.
Bei dem Stichwort ’Feinde einkreisen’ muss ich außerdem daran denken, dass unser größter Feind im Grunde genommen unser eigener Egoismus ist. Wenn wir es vermeiden, unsere Charaktermängel von Gott in Angriff nehmen zu lassen, werden sie sich immer weiter ausbreiten, und das bedeutet Niederlage. Wenn wir dagegen in den Spiegel der Liebe Gottes sehen und dadurch die Feinde namens ’Lieblosigkeit’, ’Eigensucht’ und ’Unversöhnlichkeit’ von Gott einkreisen lassen und durch seine Kraft und Hilfe überwinden lernen, dann beginnt unser Leben an Wert zu gewinnen. Friede und Ruhe ziehen in unser Herz ein. Und Freude.
Tim hat heute Morgen die Gabe gepflegt, bei einem kleinen Alltagsunfall Freude zu verbreiten und seine Freundlichkeit nicht wegen dieser Sache zu verlieren. Jeder von uns kann diese Freude von Gott im Herzen pflegen und durch Ihn lernen, Sonnenschein zu verteilen. Es ist gut, sich im ’Feinde- Einkreisen’ zu üben ... und wie Paulus es schreibt:
’Freut euch allezeit im Herrn! Und wiederum sage ich: Freut euch!
Eure Freundlichkeit lasst allen Menschen bekannt werden.’¹
¹s. Phil 4,4-5
Ein Bussard, ein Flugzeug und die unsichtbare Luft
‘Vertraue mit ganzem Herzen auf den Herrn. Gesegnet sind alle, die nicht sehen und dennoch glauben. Denn Gottes unsichtbares Wesen und seine ewige Macht können an seinen Schöpfungswerken wahrgenommen und gesehen werden.’
(s. Sprüche 3,5; Johannes 20,29; Römer 1,20)
Ein Mai-Tag voller Sonne hat mich nach draußen gelockt, und ich genieße die warme Luft. Als ich den hellen Ruf eines Bussards höre, hebe ich den Kopf. Dort oben ist er und zieht seine Kreise immer höher hinauf in den klaren Himmel. Da faltet er auf einmal seine Flügel zusammen, taucht im Sturzflug hinunter, breitet die Schwingen blitzschnell wieder aus und schießt mit der gewonnenen Geschwindigkeit wie ein Pfeil in das Blau hinauf. Er tut das immer wieder und schlägt sogar eine Rolle dabei. Man kann direkt seine Freude an dem Spiel mit den Lüften erahnen.
Weit über ihm zieht ein Flugzeug seinen Milchstreifen über das Firmament. Und selbst wenn ich weiß, dass man seinen Flug mit den Gesetzen der Aerodynamik erklären kann, frage ich mich dennoch, wie eine so große und schwere Maschine dort oben bleiben kann, nur getragen von etwas, das völlig unsichtbar ist – Luft.
Es ist schon beachtenswert, dass sowohl der Bussard als auch die Menschen im Flugzeug ihr Leben einem seltsamen Etwas anvertrauen, das man gar nicht sehen kann. Der Bussard scheint sich richtig daran zu freuen, wie er getragen wird. Er ist sich aus Erfahrung völlig sicher, dass er gut aufgehoben ist in diesem unsichtbaren Ding, das wir Luft nennen. Und die vielen Menschen in dem Flugzeug beweisen sehr viel mehr Vertrauen zu einem unsichtbaren Element, dessen Gesetze sie wahrscheinlich nicht einmal kennen, als wir manchmal Vertrauen zu unserem mächtigen Gott beweisen, den wir doch kennen sollten. Wir sind oft kleingläubig, nur weil wir Ihn jetzt noch nicht sehen können ... aber wir dürfen Ihn schon heute lebendig erfahren, wenn wir Ihm nur vertrauen. Nachdenklich beobachte ich, wie das Flugzeug in der Ferne zu einem kleinen Punkt wird und verschwindet. Nur noch der Milchstreifen zeugt von seiner Existenz. Und der Bussard ruft hell und nahezu fröhlich über mir, als wolle er mich aufmuntern.
Ja, er hat recht, sein sichtbares Beispiel möge uns ermutigen. Denn weit sicherer als die unsichtbare Luft Flugzeuge und Bussarde trägt, wird unser Gott dich und mich tragen. Wie der Bussard können wir uns aus Erfahrung dessen völlig gewiss sein, dass wir bei Gott gut aufgehoben sind. Denn was ist die Luft gegen den, der sie erschaffen hat? Wie viel Gewissheit können wir doch von den Kunststückchen und Luft-Rollen des Bussards lernen. Er und das Flugzeug wollen uns Mut machen, unserem unsichtbaren Vater, der einmal sichtbar für uns sein wird, genauso fest zu vertrauen.
„Danke, lieber Bussard, für deinen aufmunternden Zuruf. Und danke, Vater, für deine liebevolle Aufforderung zum Vertrauen durch einen Bussard, ein Flugzeug und die unsichtbare Luft.“
Brotkrümel
‘Ich will sie nicht hungrig gehen lassen, damit sie nicht zusammenbrechen.’
(s. Matthäus 15,32)
Die Fichten und Kiefern stehen so dicht, dass ich den Himmel kaum sehen kann. Ein paar Singvögel fiepen zaghaft in den kühlen Tag. Ich setze mich auf einen Baumstumpf, der von einem zerbrochenen Baum übriggeblieben ist. „Und Vater, die Versprechen, die Du in deinem Wort gegeben hast, erscheinen mir manchmal auch wie zerbrochen. Natürlich weiß ich, dass Du Dich immer um uns kümmerst. Aber manchmal sieht man es einfach nicht.“
Ich nehme meine kleine Bibel aus der Tasche und öffne sie. Die Geschichte, die ich aufgeschlagen habe, erzählt von einer Fremden, die zu Jesus kommt, als Er in einer Gegend außerhalb Israels ist. Sie fleht Ihn an, ihr krankes Töchterchen zu heilen. Aber zunächst erhört Er sie nicht. Warum nicht? Was ist geschehen?
Kurz zuvor hatten jüdische Lehrer seinen Jüngern vorgeworfen, sie würden mit religiös unreinen Händen Brot essen. Jesus erklärte, dass nicht das Unterlassen von traditionellen Riten einen Menschen verunreinigt, sondern die schlechten Gedanken im Herzen. Es wurde dabei deutlich, dass auch die Jünger diese kultischen Reinheitsansichten teilen, die alle Heiden wie unreine Hunde ausgrenzen. Deshalb entschloss sich Jesus, ihnen ihre Vorurteile vor Augen zu führen.
Er kennt auch jene fremde Frau und weiß, dass Er seine Jünger durch sie erziehen kann. Er vertraut ihr, dass sie es aushalten wird, wenn Er sich kalt von ihr abwendet und dadurch seinen Jüngern zeigt, wie herzlos sie diejenigen behandeln, die Gott retten möchte. Die Frau lässt sich tatsächlich nicht entmutigen, als sein Verhalten so gar nicht seiner mitfühlenden Art entspricht und Er schließlich noch die Worte der selbstgerechten Menschen in Israel zitiert: „Es ist nicht fein, wenn man den Kindern das Brot wegnimmt und es den Hündchen hinwirft.“ Selbst darauf antwortet sie: „Ja, Herr, aber auch die Hündchen essen die Brotkrümel, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Wie gut kennt sie bereits Jesu Barmherzigkeit mit allen Menschen! Und Jesus wusste, dass sie es Ihm dadurch ermöglicht, seinen Jüngern zu zeigen, wie sehr ihre schlechten Gedanken sie verunreinigen. Er weiß, Er kann dieser Frau vertrauen, und Er heilt auch ihr Töchterchen ... von ganzem Herzen.
Und ich weiß, dass Er damit auch uns ermutigen will, mit Ihm durch Schwierigkeiten zu gehen, ohne unseren Glauben an Ihn zu verlieren. Er sorgt sich mitfühlend um uns. „Vater, ich verstehe nun, dass Du uns Durchhaltevermögen zutraust, damit es anderen eine Hilfe sein kann. Ich frage auch nicht nach einem ganzen Brotlaib, aber bitte gib mir wenigstens nur ein paar kleine Brotkrümel.“
‚Habe ich dieser Frau nur ein paar armselige Brotkrümel gegeben?’, meine ich seine sanfte Stimme in meinem Herzen zu hören. Ich muss lächeln: „Nein. Du hast ein überreiches Wunder für sie getan.“ Und Er wird auch uns überreich beschenken für das, was wir auf Erden erleben. Als Bestätigung zeigt Er mir in der Bibel, wie Er die nächsten Wunder auf seinem Rückweg nach Israel vollbrachte: Er vermehrte sieben kleine Brote, um viele tausend Fremdlinge zu versorgen. Wo wir nur zerbrochene Versprechen und Schwierigkeiten sehen, werden wir eines Tages die Harmonie in Gottes Plan erkennen. Es gibt keinen Ruf, den Er unbeantwortet lässt, und keine Sehnsucht, die von Ihm ungesehen bleibt. Er hält seine Versprechen ... und vermehrt Brotkrümel in Tausende von Broten. Vertrau.
Kleine Samen – kleine Taten
‘Mit was könnte ich das Reich Gottes vergleichen?
Es gleicht einem kleinen Senfkorn, das zu einem Baum heranwächst,
sodass die Vögel im Schutz seiner Zweige einen Nistplatz finden.’
(s. Lukas 13,18-19)
Es ist an der Zeit, Tomatensamen zu säen. Ich fülle Erde in meine Pflanztöpfchen und bohre mit dem Finger Löcher in die weiche Erde. Dann streue ich Samen hinein, bedecke sie sorgfältig mit ein wenig Erde und gieße sie vorsichtig. Schließlich stelle ich die Töpfe an einen warmen, hellen Platz auf dem Fensterbrett. Und nun heißt es, warten ... Zwei Wochen später spitzen die ersten Keimlinge aus der braunschwarzen Erde. Winzige grüne Blättchen entfalten sich im Sonnenschein. Es ist für mich erstaunlich, dass so ein zartes und verletzliches Pflänzchen überleben kann und zu einem Tomatenstock heranwächst, der mich im Gewächshaus sogar überragt – und das innerhalb von fünf Monaten. Welch ein Wunder ist so ein Samenkorn! Ich denke da auch an die Mammutbäume, die ein Alter von 2000 bis 3000 Jahren erreichen. Ihre Samen sind winzig, aber sie werden zu Nadelbaum- Riesen von 100 Metern mit einem Stammdurchmesser bis zu 10 Metern. Ein so kleiner Anfang und ein so unübersehbares Ergebnis!
Jesus erzählte auch einmal von einem Samen. Vielleicht war es so ein sonniger Tag wie heute ... Das Ufer des Sees ist überfüllt mit Menschen, Fischern, Frauen mit Kindern, Dorfbewohnern, erwartungsvollen Gesichtern, neugierig oder nach der Wahrheit hungernd. Sie lauschen dem Mann im Fischerboot auf dem See. In seinen Augen spiegelt sich Mitgefühl. Seine klare Stimme hallt über das Wasser, als Er sagt: „Das Himmelreich ist wie ein kleiner Same, der heranwächst und zu einem Baum wird.“
Auch wir können kleine Samen streuen, die wachsen und Früchte bringen, nach denen die Menschen hungern. Wir können Jesus widerspiegeln durch Freundlichkeit, Mitgefühl, eine hilfreiche Tat. Vielleicht meinst du, deine kleinen Samen verschwinden so oft unbeachtet in der dunklen Erde, doch dein himmlischer Vater bemerkt sie immer. Und du weißt nie, was aus einem kleinen Anfang erwächst. Deshalb streue deine Samen weiter aus, Gott wird auf seine Art damit arbeiten. Ich selbst bin dankbar für all die willigen Samenstreuer in meinem Leben, die nicht ahnten, was sie vollbrachten, als sie mir ein Lächeln schenkten oder Worte, die mich ermutigten und wärmten. Auch deine Mühe wird nicht vergeblich sein, deine freundlichen Worte bewegen etwas. Oft genug sind es gerade die kleinen Dinge, die so viel bedeuten. Du hast keine Ahnung, was Gott durch dich im Leben anderer tun kann. Gott hat seine Pläne mit den Samen. Unerwartet von dem Sämann wachsen Bäume heran.
Und wenn du durch dein Fenster einen Baum siehst, dann denke an deine kleinen Samen und was sie in Gottes Händen bewirken können. Jesus hat bereits von ihnen gesprochen, als Er im Boot stand. Er wusste um ihre Wirkung. Deshalb bleibe beharrlich, so wie Gott es ist, und sieh deine Samen nicht als unwichtig an. Dein kleiner Same kann im Herzen eines anderen keimen und für ihn zu einem Lebensbaum werden. Und Gott wird es dir reichlich lohnen. Gott übersieht keine gute Tat, mag sie noch so klein sein. Auf die eine oder andere Weise kommt das Gute zu uns zurück. Vielleicht nicht von denselben Personen, und vielleicht auch nicht am selben Tag oder im selben Jahr ... ja, vielleicht nicht einmal in diesem Leben. Doch Gott hat uns versprochen, dass Er es uns lohnen wird, was wir für Ihn oder für andere eingesetzt haben, oder was wir opferten und auf uns nahmen. Er freut sich über uns und verspricht uns, dass unser Lohn ein sehr großer sein wird ... so groß, dass es alles übertrifft, was wir jemals getan haben.
Der Wunschbaum
‘Die Hoffnung lässt nicht zu, dass wir zunichte werden, denn die Liebe Gottes wurde in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist. Denn als wir noch schwach waren, ist Christus zur rechten Zeit gestorben.’
(s. Römer 5,5-6)
Ein leichter Frühlingswind streicht zwischen den Bäumen hindurch. Nachdenklich folge ich dem Weg durch den Wald. Die vergangenen Jahre waren nicht leicht ohne eine eigene Familie, und es blieben unerfüllte Wünsche zurück ... Als ich den Hauptweg verlasse und in den Wald hineingehe, sehe ich eine Fichte, die vom Sturm umgeworfen wurde. Ich bleibe bei ihr stehen. Ihre Wurzeln ragen in die Luft, der mächtige Stamm liegt auf dem Boden, während sich die Krone in das Gras schmiegt. „Der Baum ist wie meine Wünsche“, muss ich unwillkürlich denken. Ich steige neben den Wurzeln auf den Stamm und balanciere zur Krone hinauf. Es ist ein sehr hoher Baum gewesen, er misst fast dreißig Meter. Schließlich stehe ich auf der Spitze der Krone und da geht mir ein überraschender Gedanke durch den Sinn: „Wenn der Baum nicht auf dem Boden liegen würde, wäre es mir nicht möglich, die Krone zu erreichen.“ Ja, das stimmt. Und ich könnte auch nie die Krone meiner Wünsche erreichen, wenn ich sie nicht in die Hände Gottes legen würde. An einem sonnigen Platz zwischen den Bäumen setze ich mich und öffne meine Bibel. Bevor ich lesen kann, blättert der Wind die Seiten um ... bis zum ersten Petrusbrief:
‘Wenn der höchste Hirte sichtbar kommt, werdet ihr den unvergänglichen Siegeskranz der Herrlichkeit empfangen. Gott wird euch zur richtigen Stunde erhöhen, so stellt euch nun demütig unter die starke Hand Gottes, indem ihr all eure Sorgen in seine Hände legt – denn Er sorgt sich um euch. Der Gott aller gnadenvollen Güte, Er selbst wird euch, die ihr für eine kurze Zeit gelitten habt, vollkommen machen, stärken, festigen und unerschütterlich gründen.’¹
Diese Worte sind so zutreffend. Außerdem beginne ich Gott ein wenig besser zu verstehen, wie es für Ihn sein musste, seine Wünsche aufzugeben, als Er durch die gefallenen Menschen einen Teil seiner Familie verlor. Er sehnt sich so sehr nach uns. Am Kreuzes-Baum kämpfte Er um uns und bezahlte mit seinem Leben für eine Liebe, die nie so richtig erkannt wurde. Er hat so viel für uns getan. Und mir kommt der Gedanke, dass Gott mich als mein Vater nie allein lässt und dass ich ja ein Teil seiner himmlischen Familie bin! Da öffne ich noch einmal die Bibel und lese, wie Jesus sagt: ‘Seht, hier sind mein Bruder und meine Schwester.’²
Verwundert sehe ich zum Himmel hinauf: „Meinst Du das wirklich?“ Aber eigentlich kenne ich seine Antwort: ‚Ja, ich meine es. Du bist meine kleine Schwester.’
Ist das nicht erstaunlich? Hat jemals der Schöpfer des Universums zu jemandem gesagt, „Du bist meine Schwester, du bist mein Bruder“? Wusstest du das? Theoretisch wusste ich es, doch meine Wünsche mussten fallen, damit ich das endlich verstehen konnte. Wenn wir uns und unser Leben Gott übergeben, sind wir bei Ihm geborgen. Das dürfen wir wissen. Ja, du bist ein Teil seiner Familie. Er sehnt sich nach dir und Er sorgt für dich – und wir erreichen die Krone unseres Wunschbaumes, wenn dieser in Gottes Hände fällt.
¹ s. 1 Pet 5,4-10 ² s. Mt 12,48-50
Das Überraschungslied
‘Mein Vater im Himmel handelt auch heute.
Alles hat Er zur richtigen Zeit wunderbar gemacht, nur versteht der Mensch oft nicht das Werk, das Gott vom Anfang bis zum Ende getan hat.’
(s. Johannes 5,17; Prediger 3,11)
Meine Freundin Gisa heiratet, und ich habe eine Überraschung für sie und ihren zukünftigen Mann geplant. Ich will den beiden ein Lied während des Traugottesdienstes singen – obwohl es meinen ganzen Mut erfordert, ich bin nämlich keine Meistersängerin. Aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Der Pastor erklärte sich nach einigem Zögern auch einverstanden.
Und nun ist es also soweit: In der Mitte des Gottesdienstes mit einer strahlenden Braut und einem stolzen Bräutigam verkündet der Pastor, dass ich ein Lied für das Brautpaar singen werde ... solo! Die Überraschung ist meiner Freundin am Gesicht abzulesen, als ich aufstehe und nach vorne gehe. Manche wissen inzwischen, dass ich neuerdings gut für spontane Überraschungen sein kann. Gisa wusste es noch nicht. Das Lied, das ich auswendig gelernt habe, ist ein wunderschönes christliches Liebeslied voller Poesie. Als ich es singe, hat Gisa tatsächlich Tränen in den Augen ... und ich habe Pudding in den Knien und hoffe, ich bringe mein Lied stehend zu Ende. Vor zwei Tagen fragte mich der Pastor noch, ob ich mich mit der Gitarre begleiten würde. Ich sagte, ich könne nicht Gitarre spielen, ich würde es solo singen. Er bewunderte meinen Mut, aber wir wussten beide nicht, dass auch uns eine Überraschung blühen würde ... denn plötzlich während meiner singenden Darbietung setzt in der Nähe der Kirche die Feuersirene ein – Probealarm! Der gleichmäßig hohe und durchdringende Ton erfüllt zusammen mit meinem Gesang die Kirche. Oh Schreck! Was soll ich tun? Aufhören und nach der Sirene noch einmal neu beginnen? Dazu werde ich nicht mehr den Mut haben! Also singe ich mutig und laut mit der Sirene im Duett ... und bekomme am Ende dafür einen donnernden Applaus.
Nach dem Gottesdienst fragt mich der Pastor schmunzelnd: „Na, möchten Sie nicht unserem Kirchenchor beitreten? Wir brauchen noch so eine starke Stimme, die es sogar mit einer Sirene aufnimmt.“ Haha. Aber ich muss auch lachen. Das wird unvergesslich bleiben, der Traugottesdienst wurde auf Band aufgenommen ...
Ich hatte ja gedacht, ich würde für Gisa eine Überraschung haben, aber unser Vater im Himmel hatte auch für mich eine Überraschung. Wenn man bedenkt, wie exakt es stimmen musste, dass der Pastor das Lied in der Mitte einplante, dass das Brautpaar spät von der standesamtlichen Trauung kam, dass der Pastor darauf bestand, mich vorzustellen (obwohl ich das nicht wollte) ... alles das, nur damit die Sirene Zeit hatte, passend einzusetzen, um mich zu begleiten. Gott hat es einzigartig geplant. Und in der Tat, wir haben keine Ahnung, wie oft Er in unserem Leben ein perfektes Zusammenspiel einrichtete – Dinge, die Er auf die Sekunde genau ausführte ... zu unserem Besten. Sicherlich werden wir das meiste davon erst im Himmel erfahren. Dann werden wir erkennen, wie genau Er gearbeitet und alles arrangiert hat. Wir werden staunen und auch überrascht sein. Und wir werden ganz sicher sehr, sehr dankbar für das sein, was Er getan hat ... in seinem wunderbaren Plan für uns. Denn Er hat immer noch Überraschungen für dich bereit.
Meine Rotschwänzchen-Kinder
‘Seht die Vögel des Himmels an. Euer himmlischer Vater ernährt sie alle. So fürchtet euch nun nicht, denn ihr seid viel wertvoller als viele Sperlinge.’
(s. Matthäus 6,26; 10,31)
Leises melodisches Zwitschern dringt durch das Fenster zu mir. Ich blicke von meiner Arbeit auf. Da sitzt er, der kleine Rotschwänzchen-Mann, und trillert auf dem Dachfirst sein Lied. Ich freue mich über das Rotschwänzchen-Paar, das jedes Jahr auf dem Dachboden brütet. Ich habe auch schon ihre diesjährigen Kinder gesehen. Die kleinen Federbälle hüpfen manchmal über das angrenzende Scheunendach. Bei Regen sitzen sie dort unter dem Dachvorsprung auf einer Mauerleiste, genau meinem Fenster gegenüber. Wenn ihre Eltern angeflogen kommen, zittern sie mit den Flügeln und öffnen zirpend ihre Schnäbelchen mit dem hellen Schnabelrand.
Ich bin in dieser Zeit auch besonders wachsam. Ein paar Elstern haben sich als Vogelkind-Räuber erwiesen. Und da entdecke ich sie auch schon wieder auf einem Baum dort draußen. Sofort springe ich auf, renne hinaus auf die Dachterrasse und klatsche wild in die Hände, während ich wie eine Katze zische. Das wirkt. Weg sind sie ... Aber in dem Moment taucht unterhalb der Dachterrasse ein Nachbar auf und schaut ein bisschen entgeistert zu mir herauf. Eilig ziehe ich mich zurück und schlage die Tür zu. Großartig! Was muss er von mir denken! Jetzt habe ich mich aber blamiert ...
Als ich einige Tage später auf der Dachterrasse Schreibarbeiten erledige, sehe ich ihn kommen und ich ringe mich dazu durch, ihm mein Verhalten zu erklären. Er nickt verständnisvoll und sagt, bedauerlicherweise würden wegen der Elstern keine Singvögel mehr in seinem Garten brüten. Ich atme erleichtert auf und widme mich wieder meiner Arbeit. Nach einer Weile höre ich ein Flattern und ein leises kratzendes Geräusch auf dem Holzgeländer. Vorsichtig hebe ich den Kopf. Und da sitzen sie aufgereiht nebeneinander ganz nah auf dem Geländer – meine drei kleinen Rotschwänzchen- Kinder! Sie beäugen mich mit ihren schwarzglänzenden Augen und drehen die Köpfchen von einer Seite auf die andere. Ich halte fast den Atem an, bis sie – schwirr – wieder fort sind. Ich muss lächeln. Wie gern habe ich sie. Ich bin sogar bereit, mich für sie zum Narren zu machen, weil ich mich um sie sorge. Sie werden aber nie verstehen, dass ich ihnen damit vielleicht das Leben rettete.
Wie viel mehr sorgt sich unser himmlischer Vater um uns. Wir ahnen kaum, wie oft Er uns das Leben rettete, ohne dass wir es bemerkten. Und das, was Jesus tat, ist oft in den Augen der Menschen eine Torheit. Doch Er war bereit, es um unserer Rettung willen zu tun. Gott kämpft für uns – gegen alle möglichen Gefahren und gegen Satan, der uns vernichten möchte. Ich wünschte, wir könnten einen Blick hinter den Schleier werfen, der das Sichtbare vom Unsichtbaren trennt. Denn unsere Welt ist nur ein kleiner Teil des Lebens und der Kämpfe, die jenseits unserer Wahrnehmung existieren. Eines Tages werden wir erkennen, wie sehr unser Vater uns beschützte und seine Verheißungen auf seine ganz besondere Weise gehalten hat. Wir sehen oft nur die ’Elstern’, die solche Namen tragen wie ’Frustration’, ’lange Wartezeiten’, ’Angst’, ’Krankheit’ und ’Schwierigkeiten’, und wir bemerken den Einen nicht, der am Fenster zu unserer Welt steht, immer bereit für uns zu kämpfen. Seinen Vateraugen entgeht nichts, Er ruht nicht und schläft nie. Weit mehr als ich mich um meine Rotschwänzchen kümmern kann, kümmert Er sich um uns ... Und so unvergleichlich viel mehr sorgt Er sich um dich.
© 2010, Jaimée M. Seis / © 2013, Top Life Center
Die Texte sind auch in dem Buch ‘Alle Tage vom Himmel umarmt‘ enthalten.